Zweiklassenrecht durch Gutachterkauf


1.9.1999

Diesen Artikel darf ich mit Genehmigung des Autors hier wiedergeben:


Rechtsanwalt Dr. Hugo Lanz, München

aus Heft 9/1998 der Zeitschrift für Rechtspolitik

(ZRP 1998, Heft 9, pp 337 ff)

Forum

Zur mangelnden Neutralität vieler gerichtlicher Gutachter

I. Wes Brot ich eß, das Lied ich sing

Nicht ganz zu Unrecht wurde vor einigen Jahrzehnten vielfach die Meinung vertreten [1], die Richter würden - vor allem aufgrund ihrer Herkunft aus Ober- und Mittelschicht [2] - die Unterschichten in ihrer Rechtsprechung benachteiligen. Heute sind solch pauschale Behauptungen sicher nicht mehr gerechtfertigt. Im Gegenteil - es gibt eine Fülle von Hinweisen, daß z.B. eine sehr mieterfreundliche Rechtsprechung [3] dazu führt, daß Wohnraum daß Wohnraum leer steht oder eine sehr arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung [4] dazu führt, daß Arbeitsplätze im Inland verlorengehen.

Ein Gebiet aber gibt es nach wie vor, in dem sich Angehörige zweier Klassen vor Gericht gegenüberstehen: Diejenigen, die sich Gutachter kaufen können und diejenigen, denen dazu die Mittel fehlen. Die Landtagsfraktion der Bayerischen SPD hat sich dieses Themas in einer schriftlichen Anfrage und einer Pressekonferenz [5] angenommen; sie fordert u. a. eine Änderung der ZPO [6]. Die Misere des normalen Bürgers, der im Prozeß auf einen Sachverständigen trifft, hängt damit zusammen, daß er höchst selten mit Sachverständigen zu tun hat, seine Gegner (Industrie, Versicherungen, Berufsgenossenschaften etc.) aber tagtäglich. Da diese Großen laufend mit Gutachtern zu tun haben, lohnt es sich für sie, sich die Gutachter gefällig zu machen. Zuweilen geschieht dies durch illegale Zuwendungen [7], meist aber geht man ganz legal vor. Es gibt Geld für irgendwelche Gutachten [8], für sogenannte klinische Studien, Finanzierung von Tagungen, Einladungen zu gut bezahlten Vorträgen, zu Kongressen und sonstigen Veranstaltungen, Zurverfügungstellung von Arbeitsmaterialien, Spesenersatz, Zahlungen an Institutionen, die indirekt dem Gutachter zugute kommen [9], usw.

Daß man hier nicht kleinlich ist, zeigen die Versuche einer großen Krankenversicherung, den Westdeutschen Rundfunk zu bestechen, wobei der Versicherungsagent erklärt, er habe durch Geldzahlungen schon viele verdeckte Werbebeiträge seiner Versicherung ins Fernsehprogramm geschleust [10] Das meiste liegt hier leider im Dunkeln [11] und wird dort ohne Änderung der ZPO wohl auch bleiben [12].

Richter wenden sich bei der Suche nach Gutachtern besonders gerne an Universitäten. Dies ist im medizinischen Bereich oft nicht sinnvoll; die meisten Prozesse z.B. im Krankenversicherungsrecht betreffen niedergelassene Ärzte und für dieses Gebiet sind Uniklinikchefs regelmäßig nicht fachkundig [13]. Weit schlimmer aber ist der Vorwurf des Ärztekammerpräsidenten von Berlin: "Die Universitäten werden besonders bestochen" [14]. Um diesem Bestechungssumpf zu entgehen, wäre es daher sinnvoll, die Therapie von niedergelassenen Ärzten durch niedergelassene Ärzte und die Therapie von Heilpraktikern durch Heilpraktiker begutachten zu lassen. Und noch etwas spricht gegen die Universitäten: Die sklavische Abhängigkeit des gesamten Unterbaus vom Ordinarius macht letztlich jede unabhängige Begutachtung unmöglich. Wer hier nicht kuscht, kommt nie voran [15].

Manche Ordinarien aber sind letztlich Wirtschaftsbetriebe mit in der Regel "Neben"einnahmen von über einer Million DM [16], [17]. Durch diese hohen Einnahmen aber werden diese potentiellen Gutachter selbst zu Unternehmern, so daß die Gefahr besteht, daß sie nicht nur ihren Auftraggebern in der Wirtschaft gefällig sein müssen, sondern daß sie ihre Gutachten als Mittel zur Einkommensförderung ihres Wissenschaftsunternehmens instrumentalisieren [18]. Solche Ordinarien finden sich dann wieder an der Spitze vieler Fachverbände; sie lassen sich ihr Plazet zur Einführung neuer Therapien teuer bezahlen [19]. Führt nun ein Arzt eine solche Therapie zum Wohle eines Kranken durch, ohne daß die Spitzen der entsprechenden Fachverbände schon ihr Geld für ihr Plazet erhalten haben, so werden praktisch alle Gutachter aus jenen Fachverbänden diese Therapie ablehnen, da ihnen sonst ja ihre lukrative Definitionsmacht für notwendige Heilbehandlung etc. verlorengehen würde.

II. Warum liest man in Urteilen gewöhnlich nichts über die finanziellen Verbindungen der Sachverständigen?

Wenn 96% der Befürworter einer Therapie Geld vom Hersteller erhalten haben, da müßte jedem Richter doch klar sein, daß der Beweiswert eines Gutachtens entscheidend von den finanziellen Verflechtungen des Sachverständigen abhängt.

Es gibt nun eine Menge Richter, denen dieser Sachverhalt durchaus bewußt ist. So fordert z.B. Zopfs [22] die Richter auf, sich die Finanzkraft der Versicherungswirtschaft klarzumachen, der die Versicherungsnehmer nichts entgegenzusetzen haben. Das OLG München23 wirft der Stiftung Warentest einseitige Auswahl ihrer Gutachter vor. Das LG Wuppertal [24] erklärt, daß bei Streit in der Fachwelt notfalls zwei Gutachter bestellt werden müssen. Häufig aber ist Justitia blind gegenüber den Verflechtungen ihrer Gutachter. So etwa erklärt das LSG Essen [25], der Freund des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten sei als Gutachter nicht befangen [26]. Ein Gutachter; der im Spiegel [27] eine damals geplante und inzwischen durchgeführte Gesetzesänderung bedauerte, weil dann gewisse Klagen nicht mehr abgeschmettert werden könnten, wurde in einer ebensolchen Klage als "unbefangener" Gutachter bestätigt [29].

Man muß davon ausgehen, daß viele Richter einfach irgendeinen Gutachter beauftragen, ohne sich irgendwelche Gedanken zu machen. Anders ist es z.B. kaum zu erklären, daß in einer Zeit, in der man in allen Zeitungen über den Skandal Prof. Hermann lesen konnte und dieser längst wegen Fälschungen vom Dienst suspendiert war; ausgerechnet er als gerichtlicher Gutachter bestellt wurde [29].

Aber selbst wenn offen zu Tage liegt, daß die Ärztekammer in einer konkreten Frage nicht neutral ist, scheuen Richter nicht davor zurück; eben dort nach gerichtlichen Gutachtern nachzufragen. In einem Schreiben vom Jüni 1993 kündigt die Ärztekammer Nordrhein an, daß sie bemüht ist, gegen einen Dr. H eine Gutachterseilschaft aufzubauen. Trotzdem sind einzelne Richter nicht davor zurückgeschreckt, gerade bei dieser Ärztekammer nach Gutachtern nachzufragen, wenn es um die Erstattung der Therapie dieses Dr H ging [39]. Schließlich gibt es noch eine Methode, den Krankenversicherungen die Auswahl des Sachverständigen zu überlassen. Man nimmt keine Gutachter, deren Patienten Ärger mit einer Krankenversicherung haben [40]. Da jeder Mediziner Patienten von einer der großen privaten Krankenversicherungen hat, kann so die Krankenversicherung jeden ihr unerwünschten Gutachter ausschalten, indem sie die Rechnungen seiner Patienten nicht reguliert.

Es gibt nicht wenige Richter; die jeglichen Versuch, Licht ins Dunkel der finanziellen Verbindungen des Sachverständigen zu bringen, nicht nur nicht fördern, sondern Fragen der Parteien, die in diese Richtung zielen, nicht zulassen und auf diese Weise der Korruption Vorschub leisten. Oft geschieht dies, um den Prozeß rasch beenden zu können und sich nicht in schmutzige Niederungen begeben zu müssen; gelegentlich aber auch, weil man selbst mit derartigen Gutachtern verbunden ist.

III. Gesetzesänderungen der Vorschriften über den Sachverständigenbeweis sind notwendig!

Die derzeitigen Vorschriften über den Sachverständigenbeweis reichen zwar aus, einem engagierten und auf Neutralität bedachten Richter einen fairen Prozeß zu ermöglichen: Das Gericht kann umfassende Auskünfte über Gutachterkandidaten einholen und dort, wo es unterschiedliche Ansichten in der Fachwelt gibt, nach Paragraph 404 1 ZPO mehrere Sachverständige be auftragen. Die Gerichte sind verpflichtet, sich mit den Gutachten ausführlich zu befassen, insbesondere auch die Feststellungen eines gerichtlichen Gutachtens mit solchen aus außergerichtlichen Gutachten abzuwägen [41].

Damit aber bei Beteiligung eines Sachverständigen regelmäßig ein fairer Prozeß stattfindet, sind Gesetzesänderungen erforderlich. Zum einen ist es notwendig, daß der Gutachter vor Erstattung des Gutachtens dem Gericht und den Parteien seine Fachkunde auf streitgegenständlichem Gebiet darlegt. Alsdann hat der Sachverständige alle Gründe und Beziehungen zu benennen, aus denen er ein Interesse an dem Ausgang des Verfahrens haben könnte. Insbesondere muß er angeben, für wen er bisher direkt oder indirekt gearbeitet hat und welche Vorteile er oder die Institution oder Personen, denen er insoweit verbunden ist, aus dieser Arbeit gezogen haben.

Bestehen Zweifel, ob ein wirklich neutraler Sachverständiger zu finden ist, so soll das Gericht in der Regel mehrere Sachverständige unterschiedlicher Auffassung benennen, um so insgesamt eine ausgewogene Begutachtung zu erhalten. Wenn - de lege ferenda - die Prozeßbeteiligten schon solche Mühe verwenden, einen wirklich neutralen Gutachter zu finden, dann muß auch sichergestellt sein, daß der Sachverständige das Gutachten in allen wesentlichen Punkten eigenhändig erstellt; eine Unterzeichnung wie "aufgrund eigener Urteilsbildung mit dem Gutachten einverstanden" darf nicht mehr genügen [42].

Schließlich sollten die Prozeßordnungen klarstellen, daß die Beeidigung des Sachverständigen auch seine Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen (also z.B. über seine Fachkunde und seine finanziellen Verflechtungen) umfaßt [43].

Auch solche Gesetzesänderungen können kein völliges Gleichgewicht im Prozeß zwischen Weltkonzernen auf der einen und kleinen Leuten auf der anderen Seite herstellen. Sie können aber die schlimmsten Auswüchse mildern und bei den Prozeßbeteiligten ein Problembewußtsein schaffen über die Schwierigkeit, einen neutralen [44] Sachverständigen zu finden [45].

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